Lilli Marx

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Lilli Marx auf der 2. Tagung von Bet Debora in Berlin (2001)

geb. am 27. Januar 1921 in Berlin, gest. am 5. April 2004 in Düsseldorf

 

Als Lilli Marx im Herbst 1946 aus der Emigration nach Deutschland zurückkam, setzte sie sich mit viel Energie für den Wiederaufbau jüdischen Lebens ein. Ihr Engagement galt insbesondere dem Jüdischem Frauenbund (JFB), den sie zusammen mit Jeanette Wolff (1888-1976), Ruth Galinski (geb. 1921), Inge Marcus (1922-2014) u. a. wiederbegründete. Anknüpfend an die große Tradition des Bundes schuf sie ein wichtiges Forum für die überlebenden jüdischen Frauen in Deutschland.

Lilli Marx wuchs in einer liberal eingestellten jüdischen Familie in ihrem Geburtsort Berlin auf. Weil sie von ihren Mitschülerinnen schikaniert wurde, wechselte sie 1934 von einer öffentlichen auf eine jüdische Schule, die sie mit der mittleren Reife abschloss. Eine weitere Schulbildung oder Berufsausbildung blieben ihr versagt. Im Alter von 18 Jahren emigrierte sie 1939 mit einem „Domestic Permit“ nach England. Ihre Eltern wurden 1940 deportiert, Vater Arthur Behrendt (1888-1941) nach Sachsenhause, er kam 1941 im KZ Neuengamme ums Leben; ihre Mutter Henriette, geb. Silberstein, nach Ravensbrück; sie starb 1942 in der Tötungsanstalt Bernburg a. d. Saale.

In England lernte Lilli 1944 ihren späteren Ehemann Karl Marx (1887-1966) kennen, mit dem sie 1946 nach Deutschland zurückkehrte. Das Ehepaar ließ sich in Düsseldorf nieder. Dort übernahm Karl Marx die Lizenz für das Mitteilungsblatt der Jüdischen Gemeinde, aus der 1947 die „Jüdische Allgemeine“ hervorging, bis heute die einzige überregionale jüdische Wochenzeitung in Deutschland. Lilli Marx war mehr als zwanzig Jahre lang Mitarbeiterin bei der Zeitung. 1951 gehörten Lilli und Karl Marx zu den Gründern der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit in Düsseldorf.

Im Jahre 1949 gründete Lilli Marx den Düsseldorfer Jüdischen Frauenverein. Die Frauen verrichteten Sozialarbeit für die Gemeinde, kümmerten sich um die Sorgen und Nöte der Überlebenden und Flüchtlinge. Auch in anderen Städten entstanden wieder jüdische Frauenorganisationen. Sie leisteten einen wichtigen Beitrag dazu, die Situation der in Deutschland lebenden Jüdinnen und Juden zu verbessern und die Gemeindestrukturen wieder aufzubauen. Lilli Marx bemühte sich darum, einen Zusammenschluss der Frauenvereine zu schaffen. 1953 wurde der Jüdische Frauenbund, der 1938 von den Nazis verboten worden war, als bundesweite Dachorganisation wieder ins Leben gerufen. Von Beginn an gehörte Lilli Marx dem Vorstand an und führte die Geschäfte. Dem JFB waren Mitte der 1950er Jahre 18 Frauenvereine und ca. 1.700 Einzelmitglieder aus allen Teilen der Bundesrepublik angeschlossen. Fünfizig Jahre nach seiner Gründung durch Bertha Pappenheim (1859-1936) im Jahre 1904 gab der JFB ein Heft mit Pappenheims Gebeten heraus, die in deren Todesjahr 1936 erstmals erschienen waren (und 2001 von Bet Debora wieder herausgegeben wurden). Es war Lilli Marx ein wichtiges Anliegen, an das Erbe des JFB anzuknüpfen, das vielen jungen Frauen ihrer Generation nicht vertraut war. Regelmäßig erschienen im Mitteilungsblatt des JFB „Die Frau in der Gemeinschaft“ Artikel, die die Erinnerung „an die ehrwürdige Vergangenheit jüdischer Frauenarbeit in Deutschland“ pflegten. Lilli Marx trug die Verantwortung für das seit 1956 unregelmäßig als Beilage zur „Jüdischen Allgemeinen“ erscheinende Blatt. Hier sollte „das Geschehen im eigenen Bereich und die Stellung und Verantwortung der Frau in der jüdischen Gemeinschaft genau so ihren Niederschlag finden, wie die jüdische Frauenarbeit draußen in der Welt.“ Berichtet wurde über die Tätigkeit der örtlichen Vereine, die regelmäßig stattfindenden Arbeitstagungen des JFB und die Tagungen des International Council of Jewish Women. Lilli Marx griff aber neben jüdischen immer wieder auch allgemein interessierende (Frauen-) Themen auf.

Die Organisation der Arbeitstagungen des JFB war ein weiterer Schwerpunkt der Tätigkeit von Lilli Marx. Auf den Tagungen wurde eine Vielfalt von Problemen diskutiert: die Aufgaben der jüdischen Frau, Berufsausbildung in der Sozialarbeit, Erziehung der Jugend, Menschenrecht und Menschenwürde, Frauen in Entwicklungsländern, um nur einige zu nennen. Für die Vorträge wurden namhafte Referentinnen gewonnen – sowohl jüdische als auch nichtjüdische. Lilli Marx sah den JFB als Teil der Gesamtgesellschaft, daher war es ihr Anliegen, auf den Tagungen auch Themen einzubringen, die die Allgemeinheit damals bewegten.

1954 war der JFB Mitglied des International Council of Jewish Women geworden. Drei Jahre später nahmen erstmals vier Frauen aus Deutschland, darunter Lilli Marx, an einer Konferenz des Council teil. Lilli Marx erlebte über die Jahre viel Misstrauen gegenüber den deutschen Delegierten: „Das war Spießrutenlaufen, aber wir haben uns die Butter nicht vom Brot nehmen lassen.“ Jüdisches Leben in Deutschland war damals für viele einfach unakzeptabel.

Lilli Marx leitete den JFB fast zwanzig Jahre lang, 1972 übergab sie die Geschäftsführung. Mit ihrem zweiten Mann, dem israelischen Schriftsteller Alexander Czerski, lebte sie dann abwechselnd in Deutschland und Israel. Nach dessen Tod 1986 kehrte sie nach Düsseldorf zurück. Der von ihr gegründete Düsseldorfer Frauenverein war inzwischen aufgelöst worden. „Die Frau in der Gemeinschaft“ hatte 1980 ihr Erscheinen eingestellt. (Inzwischen gibt der JFB seit einigen Jahren wieder eine Zeitschrift heraus.) Der JFB hatte fast gar keine Bedeutung für das jüdische Leben in Deutschland mehr. (Heute existieren wieder in zahlreichen Städten Ortsgruppen des JFB.) Viele der nach 1945 geborenen Frauen identifizierten sich stark mit dem Aufbau des Staates Israel und engagierten sich eher in zionistischen Organisationen wie der Wizo. Auch Lilli Marx fand dort ein neues Betätigungsfeld. Außerdem war sie im Gemeinderat der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf aktiv. Ein Leben ohne Engagement war für Lilli Marx kaum vorstellbar. Auf der Bet Debora Tagung 2001 in Berlin konnten wir sie als eine patente, dem Leben und allem Neuem stets zugewandte Persönlichkeit erleben, die stets bereit war, in jeder menschlichen Begegnung eine Bereicherung zu sehen.

Lilli Marx starb am 5. April 2004 im Nelly-Sachs-Haus, dem Elternheim der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf.

 

Lara Dämmig

 

Quellen:

Interview mit Lilli Marx von Lara Dämmig und Elisa Klapheck am 1. September 2001 in Düsseldorf

Dagmar Schwermer: „Von Salon keine Spur“. Der Jüdische Frauenbund nach 1945. In: Bet Debora Journal 2, Berlin 2001, S. 22-23

Lilli Marx: Die Anfänge der Allgemeinen Jüdischen Wochenzeitung. In: Michael Brenner: Nach dem Holocaust. Juden in Deutschland 1945-1950, München, 1995, S.179-185